Ich muss zugeben, dass diese DVD einige Jahre bei mir schön verschweißt in der Ecke lag. Neben all den gigantischen Blockbustern ging der Film leicht unter und geriet in Vergessenheit. Auch in der Öffentlichkeit fand dieser Film sehr wenig Aufmerksamkeit. Aber irgendwie scheint dieses Werk gerade wegen seiner nicht vorhandenen Popularität um so attraktiver, besonders wenn er durch seine eindeutig vorhandenen Qualität überzeugen kann. Es sind gerade solche Filme wie „Kiss Me Much“ die einen wie Perlen erscheinen, die es wahrlich erst mal zu entdecken gilt.
Regisseur Jeon Yun-Su hat hier ein sehr vielschichtiges Familiendrama geschaffen. Dieses Drama schafft es ohne Probleme sehr bewegend zu sein, ohne dabei jemals aufdringlich oder gar kitschig zu wirken. Vor allem ist dieser Film mehr als mutig, denn selten erlebt man so einen sozialkritischen Film wie diesen hier. Regisseur Jeon Yun-Su kritisiert hier ganz offen die kapitalistische Gesellschaft Südkoreas, wobei seine Kritik ohne Probleme auch auf unsere Gesellschaft anzuwenden ist. Hier wird einem klar gemacht, wie schwer es ist, in einer gewinnorientierten Gesellschaft, mit einer großen Familie gut zu leben. Auch kommt hier wunderbar der Zwiespalt rüber als moralisches Leitbild für die Familie zu fungieren und gleichzeitig sich in einer unmoralischen Gesellschaft zu etablieren, damit man den Lebensunterhalt der Familie sichern kann. Weiter wird durch den Film vermittelt, wie man von einen Tag auf den anderen einfach alles verlieren kann und man von einen gut bürgerlichen Leben in ein Leben abrutscht wo man sich wirklich um existenzielle Dinge sorgen machen muss, wie z.B. ob man ein Dach über den Kopf in nächster Zeit hat, genug zu Essen für die Familie auftreiben kann, die Gesundheit der Kinder gewährleistet ist oder ob man überhaupt denn Kindern eine ordentliche Bildung bezahlen kann.
Schön ist auch wie der Film am Anfang kurz das ganz „normale“ Leben einer sechsköpfigen Familie darzustellen versucht. Da ist es nicht immer ganz einfach wenn Vater und Mutter mal ein wenig Privatsphäre haben wollen, auch das tägliche Chaos inkl. diversen Geschwister-Streitereien kommt hier wunderbar rüber.
So ein menschlicher Film wie „Kiss Me Much“ funktioniert natürlich nur mit guten Schauspielern, die emotional spielen können. Diese hat „Kiss Me Much“ allemal. Besonders Lee Mi-Suk als Mutter spielt unglaublich gut und lässt viele andere Schauspieler in den Film evtl. ein wenig blass aussehen. Auch die vier kleinen Kinder spielen von zuckersüß bis hin zu absolut nervtötend. Der Vater gespielt von Jeon Gwang-Ryeol, der eigentlich die Hauptlast und quasi Hauptschuld in den Film trägt, bringt sehr gut den gequälten Mann rüber, der einfach nicht mehr weiß wie er die Probleme seiner Familie lösen soll. Dieses frustrierte und gehetzte Dasein vermittelt er sehr gut. Alleine wegen des allgemein hohen Schauspielniveaus in diesen Film ist das ganze hier schon sehr sehenswert.
Es kommen in dem Film einige sehr gewagte Sex-Szenen vor, die besonders zu dem Zeitpunkt als „Kiss Me Much“ in Korea erschien wirklich nicht alltäglich waren. Der Film rutschte somit gleich in die „Nicht Jugend Freie“ Sparte und wurde auch deswegen von einigen Kritikern ein wenig zerrissen. Ich selber muss zugeben, dass diese Szenen eigentlich nicht wirklich in dem Ausmaße nötig gewesen wären. Sie bringen den Film in keinster Weise mehr voran, oder geben ihm mehr Gewicht, in seiner unmoralischen Botschaft. Viele haben den Film auch dann begonnen mit „Ein Unmoralisches Angebot“ zu vergleichen, wobei der Vergleich wirklich hinkt. Außer diesen paar Sex-Szenen hat dieser Film auch wirklich gar nichts mit dem amerikanischen Film gemeinsam. Wirklich stören tun die Szenen nicht, schade ist nur das sie ein wenig Ruf schädigend waren und den Film als ein anrüchigen Rosa-Streifen dastehen lassen, obwohl wir hier genau das Gegenteil haben.
„Kiss Me Much“ ist für mich einer dieser Filme die für mich das anspruchsvolle koreanische Kino definieren und in einen Atemzug mit Filmen wie
Double Agent zu nennen sind. Ohne viel Schnickschnack wird hier einen ein wunderbarer Film, mit sehr viel Gefühl und ganz eigener Atmosphäre präsentiert. Das Ganze geht ein wenig in die Richtung des etwas jüngeren und bekannteren Familiendrama aus Japan „Nobody Knows„ wobei „Kiss Me Much“ niemals so unglaublich depressiv ist wie dieser, sondern irgendwo auch ein schöner Film ist.